Gedenken am 27. Januar 2023

28. Januar 2023

Am 27. Januar versammelten sich 40 Personen am Ehrenhain für die Opfer des Faschismus in Strausberg und gedachten der Befreiung des KZ-Auschwitz. Im Anschluss an die gemeinsam organisierte Gedenkveranstaltung der Stadtverwaltung und uns, fand ein Gedenkspaziergang statt. Dieser wurde von der S5-Antifa gemeinsam mit dem Horte organisiert und führte zu verschiedenen Stationen in Strausberg.

Nachfolgend dokumentieren wir unseren Redebeitrag der gemeinsam mit der AG BOrG (Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland) entstanden ist:

Gedenkrede 27. Januar 2023

Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Für die Frauen des KZ-Außenlager Strausberg sowie aller weiter westlich gelegenen Haupt- und Nebenlager des „KZ-Universums“ war die Odyssee an diesem Tag hingegen noch nicht vorbei.

Eingerichtet wurde das Außenlager des KZ-Sachsenhausen am 15. November 1944 zunächst für 100 Frauen. Sie waren seit April 1944 mit Transporten aus dem KZ Ravensbrück in Sachsenhausen eingetroffen, bevor es für sie weiter nach Strausberg ging. Hier mussten sie auf einem extra abgetrennten Teil des Märkischen Walzwerks, einer Munitionsfabrik der Fritz Werner Maschinenbau AG aus Berlin-Marienfelde, Zwangsarbeit leisten. Unterkunft und Arbeitsort gleichermaßen war die alte Schuhfabrik auf dem Grundstück Elisabeth-/Hegermühlenstraße.

Die Frauen kamen aus der Sowjetunion, Deutschland und Polen. Sechs Namen konnten mittlerweile über die sogenannten Veränderungsmeldungen aus dem Archiv der Gedenkstätte Sachsenhausen identifiziert werden: Martha Koops, geb. am 13.11.1920, Johanna Nowakowski, geb. am 01.09.1922, Margarete Rebusch, geb. am 09.12.1919, Maria Roschnjatowska, geb. am 10.10.1922, Anna Szepat, geb. am 07.07.1918, Anna Worestschakowa, geb. am 27.07.1924.

Am 10. März 1945 verlegte die SS weitere 52 Häftlinge aus einem anderen Außenlager des KZ-Sachsenhausen, den Auer-Werken in Oranienburg nach Strausberg. Man mag sich nicht vorstellen, in welchem Zustand die nun 150 Frauen in diesen letzten Wochen des Krieges waren. Es mangelte an allem. Ein Zeitzeuge berichtete über den extremen Mangel an medizinischer Versorgung für die Frauen. Sie hatten keinen Zugang zu einem Arzt oder einer Ärztin. Ein Mithäftling versuchte eine absolute Minimalversorgung sicher zu stellen. Schon heißes Wasser zu kochen war ohne Kochstelle oder Wasserkocher eine enorme Herausforderung.

Im April 1945 rückt die Front jeden Tag näher an Strausberg heran. Die Munitionsfabrik hatte einen Teil ihrer Maschinen nach Berlin verlagert, aber die Munitionsproduktion lief in Strausberg weiter. Am 19. oder 20. April 1945 erging der Befehl zur Evakuierung der Stadt. Was mit den 150 weiblichen Häftlingen geschah, darüber gibt es keine zuverlässigen Informationen. Vermutlich sind sie auf einen Todesmarsch Richtung Wandlitz geschickt worden.

Bisher erinnert nichts an die Frauen aus dem KZ-Außenlager Strausberg. Das möchten wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschist*innen ändern. In Absprache mit der Bürgermeisterin und dem Investor des aktuell am historischen Ort entstehenden Wohngebiets soll eine Gedenktafel entstehen.

Der 27. Januar wird seit 1996 in Deutschland als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ begangen. In diesem Jahr steht eine lange Zeit vergessene Gruppe von NS-Opfern im Mittelpunkt der Gedenkstunde im Bundestag: Queere Menschen. Darunter Schwule, Lesben und weitere sexuelle Minderheiten. Der von den Nazis verschärfte Paragraph 175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, war in der Bundesrepublik unverändert bis 1969 in Kraft. Homophobie, das Ressentiment gegenüber gleichgeschlechtliche Liebe, existiert bis heute.

Auch der Antisemitismus verschwand nach 1945 nicht einfach so das beweist unter anderem der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019.

Aber auch hier in Märkisch Oderland sind antisemitische Einstellungen und antisemitisch motivierte Taten auf einem beständig hohen Niveau.

Das bewies bereits in den Vorjahren die Chronik rechter Vorfälle im Landkreis, welche auch dieses Jahr durch die „Beratungsstelle Opfer rechter Gewalt“ erstellt und veröffentlicht wird. Dank einer aktiven Melder*innen Struktur ist rechtes Geschehen gebündelt dokumentiert und sichtbar.

Egal ob 19 geschmierte Hakenkreuze, 10 geäußerte neonazistische Grußformeln oder 8 antisemitische Volksverhetzungen. Der Landkreis hat ein Naziproblem, das sich über alle Ebenen des Lebens erstreckt.

So kommt es auch in schulischen Räumen immer wieder zu Vorfällen, welche längst über Hakenkreuz-Kritzeleien auf Tischen hinaus gehen. So wurde im Februar letzten Jahres eine Ausstellung über jüdisches Leben (am Theodor Fontane Gymnasium) unter anderem mit Hitler Zeichnungen und Beleidigungen beschmiert.

Die gezielte Verharmlosung des Nationalsozialismus ist auch im Kontext de sogenannten Querdenken-Demonstrationen zu beobachten. Immer wieder kam (und kommt) es in Neuenhagen zu Vergleichen von aktueller Gesundheitspolitik mit den Gräueltaten der Ärzt*innen in Konzentrationslagern. Dass Gegendemonstrant*innen mit paramilitärischen Kampforganisationen des dritten Reichs gleichgestellt werden, ist ein weiterer trauriger Teil der geschichtsrevisionistischen Praxis.

Damit rechte Vorfälle in Märkisch Oderland auch weiterhin festgehalten und nachgewiesen werden können, ist die AG BOrG auf eine aktive Melder*innen Struktur angewiesen. Also Seien Sie und seid ihr aufmerksam gegenüber diesen Vorfällen und meldet sie.

Im Anschluss an diese Gedenkveranstaltung laden wir Sie und euch noch zu einem Gedenkrundgang, der von Jugendlichen der S5-Antifa organisiert wurde, ein. Dort wird es weiterführende Informationen zum Außenlager und weiteren Orten des Widerstands und der Verfolgung in Strausberg geben.

Zum Schluss bleibt uns nur noch zu sagen:

Nie wieder, nigdy wiecej und больше никогда [bol’she nikagda]