Corona-Proteste in Märkisch-Oderland — rechtsoffen und gefährlich

27. Januar 2022

Eine gemeinsame Erklärung der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (BOrG) Märkisch-Oderland und der VVN-BdA MOL

Seit Anfang Dezember kommt es auch in Märkisch-Oderland wieder verstärkt zu Protesten gegen die anhaltenden Corona-Maßnahmen. Dabei trifft sich an Montagen, anmaßend angelehnt an die friedliche Revolution 1989 in der DDR, bundesweit eine heterogene Mischung aus Impfunwilligen, Corona-Leugner*innen, AfD-Politiker*innen bis hin zu organisierten Neonazis. Angefacht wurden diese erneuten Proteste rund um die Debatten zur Einführung einer Impflicht. Allein am ersten Januarwochenende gingen mehrere zehntausend Menschen bundesweit auf die Straße. Dabei kam es auch zu gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die selbsternannten „Montagsspaziergänge“ in unserer Region finden in größeren Dimensionen in Strausberg, Wriezen, Altlandsberg, Bad Freienwalde, Neuenhagen, Fredersdorf, Müncheberg, Buckow und Seelow statt. Dazu kommen weitere kleinere Spaziergänge in anderen Gemeinden und Dörfern. Zum Teil kommen bis zu 300 Personen zusammen, ohne offizielle Anmeldung bei der Versammlungsbehörde, ohne Beachtung des Mindestabstands und ohne Masken. Und das mitten in einer weltweiten Pandemie, die mit der neuen Omikron-Variante nicht als Welle, sondern beinahe als Mauer zu rasanten Anstiegen der Infektionszahlen führt. Anders als an anderen Orten und auch abweichend von den „Hygieneprotesten“ aus dem Frühjahr 2021 gibt keinerlei politischen Ausdruck wie Transparente oder Schilder, selbst Sprechchöre werden nicht angestimmt.

Das es sich aber um politische und durchaus auch rechte Veranstaltungen handelt, zeigt ein Blick auf die Teilnehmer*innen der Spaziergänge und den Ton in den entsprechenden Telegram-Gruppen. In Strausberg laufen Mitglieder der 2005 verbotenen neonazistischen Kameradschaft ANSDAPO mit, darunter z.B. Falko Hesselbarth. Auch der bundesweit vernetzte rechte Kampfsportler und Musiker der Band „Exzess“, Tobias Vogt, war dabei, ebenso Malwig Stelter und weitere Mitglieder der gewaltbereiten rechte Jugendgruppe Division MOL.

Auch jenseits dieser Beteiligung durch Neonazis wird der extrem rechte Charakter der Spaziergänge schon deutlich, wenn man Wortfetzen der Teilnehmenden vor Beginn der „Spaziergänge“ aufschnappt. Beispielsweise eine Gruppe bei den Strausberg Spaziergängen, die noch auf „Mengele“ warten soll (vermutlich ein Spitzname, der sich auf den berüchtigten SS-Arzt in Auschwitz-Birkenau bezieht).

Anfang Dezember gründeten sich zeitgleich brandenburgweit „Brandenburg_steht_auf“-Telegramgruppen mit jeweils regionalen Bezügen. In Märkisch-Oderland koordiniert eine Person zentral diese Gruppe und führt Buch über die Anwesenheiten auf den jeweiligen Spaziergängen. Es wird dazu aufgerufen, antifaschistisch Aktive in den Gruppen an die Moderation zu melden und aus den Gruppen zu entfernen. In der Strausberg–Gruppe kam es zudem im Rahmen des Angebots eines Kinderimpftages  in der Tagespflege „Im alten Lokschuppen“ am 15. Januar 2022 zu Aufrufen, dort zu protestieren. Es wurde gedroht, den*die Impfärzt*in herauszufinden und diese persönlich zu besuchen. Solche Drohungen gegen medizinisches Fachpersonal reihen sich ein in eine sich zuspitzende gesellschaftliche Stimmung, in der aus Drohungen auch Gewaltanwendung wird.

Die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland beobachtet diese Spaziergänge mit Sorge. „Die Weigerung, sich an  Hygieneregeln zu halten ebenso wie die Selbstverständlichkeit, mit gewaltbereiten Nazis auf die Straße zu gehen, besorgt uns“, so Tom Kurz von der Beratungsstelle. Er befürchtet eine mögliche gewaltätige Zuspitzung der Proteste, wie es in Südbrandenburg oder Sachsen der Fall ist. „Zusätzlich ist ein Treffen so vieler Menschen ohne Maske und Abstand ignorant und ignoriert die schnelle Ausbreitungsrate der Omikron-Variante.“ Angesichts dieser Entwicklungen kommt uns die Verantwortung zu, den extrem rechten Charakter der Aufzüge zu entlarven UND gleichzeitig eine solidarische Kritik an den Maßnahmen zu formulieren. Eine linke Stimme ist von Anbeginn der Pandemie viel zu leise, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen massenhaften „Spaziergänge“ wird sie dringlicher denn je. Die weltweite Pandemie ist real und hat viele Menschen das Leben und die Gesundheit gekostet. Viele weitere sind bei einer möglichen Infektion aufgrund von Vorererkrankungen von schweren Verläufen bedroht, viele Pfleger*innen und Ärzt*innen in den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen an ihren Grenzen. Lasst uns mit diesen gemeinsam für eine gute medzinische Absicherung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen statt Eigeninteressen in den Vordergrund zu stellen. Lasst uns zusammen stehen mit dem Blick auf den Schutz der gesellschaftlich Schwächsten. Lasst uns gemeinsam linke, antikapitalistische Antworten auf die Corona-Krise finden und uns nicht mit vermeintlich einfachen Antworten aus dem Querdenken-Spektrum zufrieden geben.