Bericht: „Ihr heldenhafter Kampf wurde unsere Wirklichkeit“ – 3. antifaschistische Gedenkwanderung zum Gamengrund im August 2021
26. August 2021
Am 21. August 2021 fand unsere 3. antifaschistische Gedenkwanderung statt. Mit dem Format der Gedenkwanderungen wollen wir Orte der NS-Geschichte aktiv erkunden und so wanderten wir bei ausgezeichnetem Wanderwetter – leicht bedeckt und 22 Grad – mit rund 40 Interessierten von Tiefensee Dorf zum Gedenkstein im Gamengrund – dem Ort an dem vor 80 Jahren rund 50 Antifaschist*innen bei einem konspirativen Treffen zusammen kamen um den Widerstand gegen Nazi-Deutschland zu organisieren. Ziel der Wanderung war Strausberg, wo wir den Wandertag bei Essen und einem Konzert des antifaschistischen Laienchors „Pir-Moll“ aus Pirna/Sachsen im Sozialen Zentrum „Horte“ ausklingen lassen konnten.
Ein konspiratives Treffen in Tiefensee
In den 1920er und 1930er Jahren galt Tiefensee als beliebtes Ausflugsziel, es gab eine direkte Zugverbindung aus Berlin, zahlreiche Gaststätten und am Ufer des idyllischen Gamensees eine große Jugendherberge, in der Lehrerfortbildungen sowie Blechbläserausbildungen der Hitlerjugend statt fanden. So wählten die Berliner Antifaschist*innen im August 1941 diesen Ort mit seinen umliegenden dichten Wäldern, verzweigtem Wegesystem und vor allem vielen Ausflüglern mit Bedacht: sie konnten sich ohne groß aufzufallen „unters Volk mischen“.
Viele der teilnehmenden Antifaschist*innen kamen aus Arbeiter*innen-Sportvereinen – ein Umfeld, in dem die nationalsozialistische Gleichschaltung der Arbeiter*innen-Bewegung am wenigsten glückte. Denn zehntausende Arbeiter*innen Berlins und Brandenburgs waren bis 1933 in diesem Milieu sportlich sowie kulturell und politisch geprägt worden und fanden auch nach 1933 unterschiedliche Wege, um den traditionellen Zusammenhalt zu wahren, z.B. bei gemeinsamen Wochenendausflügen ins brandenburgische Umland. Im Kontext dieser sehr verbindlichen Formen des Zusammenhaltes, u.a. eben durch die gemeinsame Herkunft aus dem Arbeiter*innen-Sport, formten Robert Uhrig und seine Freund*innen einen wachsenden Widerstandskreis – „eine der größten oppositionellen Organisationen der Reichshauptstadt“ (Sandvoß 2019: 516) – der sich gemeinsam mit dem Widerstandskreis um Josef „Beppo“ Römer am 24. August 1941 und damit wenige Wochen nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Gamengrund traf. Das Treffen sollte der Motivation der Genoss*innen dienen, „denn die Gruppe drohte auseinander zu brechen. Hitlers militärische Anfangserfolge schufen nämlich bei vielen Freunden eine resignative Stimmung. Die Ansicht ‚alles ist zwecklos‘, begann um sich zu greifen“ erinnerte sich Martha Butte, eine der Organisatorinnen des Treffens im Gamengrund. Doch Früchte konnte diese Zusammenkunft tragischerweise kaum tragen.
Der Verrat und seine Folgen
Wie Martha Butte berichtete, erfolgte der Zusammenschluss von Anhänger*innen Uhrigs und Römers im August 1941 unter ausdrücklicher Versicherung der „Wahrung ihres Eigenlebens“. Doch schon kurz darauf kam es zu „gefährlichen Leichtfertigkeiten“ vor allem in der Uhrig-Gruppe, wie es der Historiker Hans-Rainer Sandvoß in seinem sehr lesenswertes Buch „Mehr als eine Provinz. Widerstand aus der Arbeiterbewegung 1933-1945.“ (2019) beschreibt. Im Januar 1942, also nur wenige Monate nach dem Treffen im Gamengrund, wird die Verbindung der Widerstandsgruppen sogar wieder aufgelöst. Zumindest konnte dieser Umstand vielen Römer-Anhänger*innen nach der Zerschlagung der Gruppe Uhrig das Leben retten. Denn es war der Gestapo gelungen gleich mehrere Informanten in den kommunistischen Untergrundapparat zu schleusen und wesentliche Informationen über die Gruppen und deren Mitglieder an die nationalsozialistischen Machthaber zu übermitteln. Der Verrat hatte verheerende Auswirkungen und es kam zu vier großen Prozessen vor dem berüchtigten Volksgerichtshof (VGH) sowie zu mindestens zehn Verfahren vor dem Kammergericht Moabit mit zahlreichen Verurteilungen. Auch diejenigen, die freigesprochen wurden, waren vorher in Schutzhaft in Ravensbrück und Sachsenhausen. Zweieinhalb Jahre lagen zwischen den ersten Verhaftungen Anfang Februar 1942 und dem letzten der VGH-Prozesse im September 1944. Insgesamt wurden über 170 Menschen seit Frühjahr 1942 verhaftet, dabei haben 80 Menschen die Untersuchungshaft nicht überlebt oder wurden zum Tode verurteilt.
Gedenkstein im Gamengrund und Diebstahl der Tafel
An eben jener Stelle wo sich die rund 60 Mitglieder der Römer-Uhrig-Widerstandsgruppe im August 1941 im Gamengrund traf, befindet sich seit 1974 ein Gedenkstein, dessen Tafel im Frühjahr diesen Jahres gestohlen wurde (siehe Pressemitteilung). Bei der Gedenkwanderung konnten wir eine provisorische Tafel anbringen und würdigten die mutigen Widerstandskämpfer*innen mit Blumen und Musik vom antifaschistischen Laien-Chor „Pir-Moll“ aus Pirna/Sachsen.
Musikalischer Abschluss: Konzert von Pir-Moll – antifaschistischer Laienchor
Vom Gedenkstein im Gamengrund ging es auf dem 66-Seen-Wanderweg auf Waldpfaden und Forstwegen über Wesendahl nach Strausberg wo uns ein weiteres Highlight des Tages erwartete: ein Konzert des antifaschistischen Laien-Chors „Pir-Moll“. Pir-Moll singen Lieder für Freiheit, antirassistische Lieder, solche über Gleichberechtigung und Ungleichheit, antifaschistische jiddische Lieder, Lieder aus Revolutionen, feministische Lieder, Lieder über Gefangenschaft, Streik und den Kampf für eine gerechte Welt und zeigten uns, dass Widerstand vielfältige Formen, Sprachen und Ausdrucksweisen kennt. Gestärkt von dem Interesse, der Unterstützung und dem Zuspruch so vieler, ziehen wir weiter im Kampf gegen den Faschismus – an der Seite unserer Freund*innen und Genoss*innen, in der Tradition der Antifaschist*innen vor uns.
Bericht: Kira Güttinger
Fotos: Samuel Signer