„… dass diese Menschen ihr Leben riskiert haben, um dem NS-Staat zu schaden“ – Gedenkwanderung zum Gamengrund August 2020

24. August 2020

24. August 1941, Tiefensee. Im Bahnhof des kleinen Ortes im Landkreis Barnim kommen in Zügen und mit Fahrrädern um die 50 Antifaschist*innen aus Berlin an. Verkleidet als Sportler*innen oder Tourist*innen gehen sie in kleinen Gruppen durch das Waldstück, das sich unmittelbar an den Bahnhof anschließt. Von den Bewohner*innen des Ortes weitgehend unbemerkt gelangen sie in den Gamengrund, wo sie das vermutlich größte deutsche antifaschistische Treffen dieser Zeit abhalten. Die Aktivist*innen sind verunsichert durch den Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion; die Hoffnung auf ein schnelles Kriegsende schwindet und der Widerstandsgeist beginnt zu bröckeln. Joseph Römer, Kopf einer der größten Berliner Widerstandsgruppen dieser Zeit, berief deshalb ein gemeinsames Treffen mit Mitgliedern der Uhrig-Organisation ein. Sie wollen Informationen über den Kriegsverlauf besprechen, aber vor allem den Mitgliedern Mut machen und Möglichkeiten zur Vernetzung und Austausch schaffen.

Die Gefahr, ein solches Treffen abzuhalten, war groß. Zu groß: Durch den Verrat mindestens eines eingeschleusten Gestapo-Mannes wurden viele der Teilnehmenden im Februar 1942 verhaftet mussten sich brutaler Verhöre unterziehen und wurden dann in Konzentrationslager verschleppt. Viele der Festgenommenen wurden in vier großen Volksgerichtshofverfahren im Spätsommer 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

79 Jahre später, am 22. August 2020, trafen sich 40 Antifaschist*innen aus Berlin, Brandenburg und Sachsen am mittlerweile stillgelegten Bahnhof Tiefensee zu einer antifaschistischen Gedenkwanderung, um an dieses geheime Treffen im Gamengrund und seine Teilnehmer*innen zu erinnern.

Wolfram Wetzig, Kreisvorsitzender der VVN-BdA MOL eröffnete die Veranstaltung und sprach dabei von der Wichtigkeit des Gedenkens und seiner großen Freude über die Vielzahl der anwesenden Antifaschist*innen. Auch Samuel Signer und Nils Weigt, die die Veranstaltung organisiert hatten, hielten kurze Reden, in denen sie einige historische Fakten lieferten, aber auch ihren eigenen, persönlichen Zugang zum Gedenken schilderten. „Dass im nationalsozialistischen Deutschland Widerstand geleistet wurde, ist bekannt. Uns war es wichtig, die Lebenswege, die Entscheidungen, aber auch die Ängste und Sorgen der Widerstandskämpfer*innen nachzuzeichnen, sich in sie hineinzuversetzen. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese Menschen ihr Leben riskiert haben, um dem NS-Staat zu schaden“, sagt Nils Weigt.

Nach der Eröffnung wanderte die Gruppe los durch das Waldstück zum Gedenkstein im Gamengrund, der heute an das geheime Treffen 1941 erinnert. Von dort aus führte die 4-stündige Tour um den Gamensee und den Langen See und schließlich wieder nach Tiefensee

Währenddessen hielten Nils und Samuel mehrere Inputs zu Ablauf, Umfeld und Teilnehmer*innen des Treffens. Neben den relativ bekannten Männern wie Joseph Römer, Willi Sachse, Fritz Riedel und Kurt Ritter, die auf dem Gedenkstein namentlich gewürdigt werden, legten sie hierbei vor allem den Fokus auf die Teilnehmerinnen. So zum Beispiel Martha Butte, die zusammen mit ihrem Mann den Ort im Gamengrund auswählte und als Späherin absicherte. Gemeinsam mit Charlotte Eisenblätter war sie verantwortlich für die illegale Zeitschrift „Informationsdienst“, das Arbeiter*innen in den Betrieben zur Sabotage aufrief und Berichte über deutsche Greueltaten in den besetzten Gebieten öffentlich machte. Eisenblätter war als Kommunistin und Widerstandskämpferin höchstwahrscheinlich ebenfalls im Gamengrund anwesend. Die mutige Frau wurde 1942 verhaftet und übernahm die alleinige Verantwortung für den „Informationsdienst“, womit sie ihrer Genossin Butte das Leben rettete. Sie wurde 1944 hingerichtet.

Zurück in Tiefensee wurde außerdem ein weiterer Widerstandskämpfer vorgestellt: Adolf Reichwein. Dieser wirkte in den 1930er Jahren als Dorflehrer in Tiefensee und wurde als Mitglied des Kreisauer Kreises 1944 ebenfalls hingerichtet. Am Waldfriedhof Tiefensee, der letzten Station der Wanderung bevor die Teilnehmenden nach insgesamt 11 Kilometern wieder am Bhf. Tiefensee ankamen, wurde außerdem eine provisorische Gedenkplakette für die internationalen Widerstandskämpfer*innen an einem Gedenkstein angebracht. Dort hatte sich in der Vergangenheit bereits eine Plakette befunden, die jedoch entfernt worden war.Die Wanderung in den Gamengrund soll nicht die letzte Veranstaltung dieser Art gewesen sein. Samuel und Nils planen regelmäßig ähnliche Veranstaltungen durchzuführen. Dabei sollen längere Wanderungen, aber auch kleinere Spaziergänge und Stadttouren, zum Beispiel durch Strausberg, stattfinden.