Redebeitrag zum Gedenken an Phan Văn Toản
1. Februar 2021
Vor 5 Tagen, am 27. Januar, standen wir in einer ähnlichen Runde in Strausberg. Wir gedachten den vielen Menschen, die den Nazis zum Opfer gefallen sind. Am Abend gab es in der ARD einen Beitrag von Esther Bejarano, der 97-Jährigen Auschwitz-Überlebenden. Esther Bejarano ist Mitglied im Internationalen Auschwitz-Komitee sowie in unserem Verband, dem VVN-BdA. Sie sagte:
Wir erinnern, um zu verändern.
Deshalb stehen wir hier, wir wollen erinnern und gedenken. Dabei darf das Erinnern aber nicht zu einer hohlen Phrase werden, mit der sich gebrüstet wird. Auch dürfen die Opfer an die wir erinnern nicht zum Instrument werden, um unsere Politik zu legitimieren.
Trotzdem,wir erinnern um zu verändern.
Wir können, soweit wir etwas über die Menschen wissen, an sie erinnern. Sie mehr sein lassen als ein Name oder eine Zahl in einer Statistik über Todesopfer. Wir wollen wissen wie sie ihr Leben gelebt haben, was sie gerne gemacht haben, was ihre Träume und Wünsche für die Zukunft waren. Bei Menschen, die zu marginalisierten Gruppen gehören, fehlt dieses Wissen häufig. Aber wir versuchen es zu erlangen, ein Bild davon zu bekommen wer Phan Văn Toản war – versprochen.
Wir erinnern um zu verändern
Immer wieder wird gesagt, wir brauchen Zivilcourage – wir müssen eingreifen, wenn wir sehen, wie Unrecht geschieht. Im Fall von Phan Văn Toản ist das auf den ersten Blick schwierig. Wer traut sich zu einzugreifen, wenn Nazischläger einen Menschen angreifen? All diejenigen, die eingegriffen haben, können stolz auf sich sein, dass sie gehandelt haben – dazwischen gegangen sind, vielleicht die Polizei gerufen haben oder anders hilfreich waren, damit das Opfer nicht alleine ist.
Doch können wir erst dann eingreifen, wenn jemand fast totgeprügelt wird? Nein! Alles beginnt immer schon früher. Rassismus, denn das war eindeutig das Motiv dieser Tat, beginnt mit kleinen Gemeinheiten, die dem Opfer das Leben schwer machen. Wir wissen, dass die Neonazis Phan Văn Toản mehrmals seine Zigaretten geklaut haben, seine ökonomische Lebensgrundlage.
Das wird nicht unbeobachtet geblieben sein, schließlich haben die Neonazis ihr Geld mit dem Bewachen der Fahrräder von Fredersdorfer*innen verdient. Wer von den Radfahrer*innen hat mitbekommen, wie die Neonazis Phan Văn Toản schikanierten, beleidigten und demütigten? Wer hat da nicht eingegriffen?
Esther Bejarano sagte in ihrer Ansprache, das große Problem sei das „laute schweigen“. Dieses laute Schweigen tritt immer dann ein, wenn nicht eingegriffen wird. Wenn jemand rassistisch beleidigt wird und niemand etwas sagt, wenn Menschen abgewertet werden und niemand dem widerspricht. Immer dann wird das laute Schweigen für die Opfer zu einem ohrenbetäubenden Lärm. Und genau da, da können wir eingreifen. Wir können rassistischen Sprüchen widersprechen, wir können den Betroffenen deutlich machen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Wir können vieles machen ohne uns selbst zu gefährden und genau das müssen wir auch tun!
Ansonsten machen wir uns schuldig, nicht am Mord, aber an dem ohrenbetäubenden Lärm der Stille, der die Opfer alleine lässt.
Und wir erinnern um zu verändern
Wir stehen heute hier in kleiner Runde und ich danke euch, dass ihr trotz der Umstände den Weg hierher gefunden habt. In den nächsten Jahren wollen wir versuchen diesen Ort und das Erinnern bekannter zu machen. Denn Erinnerungen verblassen, alleine jetzt sieht der Ort hier anders aus als 1997 und wir wissen noch nicht einmal genau, wo die Tat stattfand. Um dem Verschwinden der Erinnerungen, der Grundlage des Gedenkens, entgegenzuwirken, werden wir uns als VVN-BdA gemeinsam mit euch und Ihnen dafür einsetzen an diesem Ort eine dauerhafte würdige Erinnerung zu installieren, damit die vorbeieilenden Menschen nicht vergessen was hier geschehen ist, sich erinnern, gedenken und immer wenn es nötig ist handeln.