Gedenken zum 9. November 2022
13. November 2022
Am 9. November organisierten wir gemeinsam mit der Stadtverwaltung Strausberg eine Gedenkveranstaltung am Jüdischen Friedhof Strausberg. Nachfolgend ist die Gedenkrede unseres Kreisverbands veröffentlicht.
Der 9. November erinnert an die Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Dabei ermordeten SA-Angehörige und Nazis zwischen dem 7. und 13. November 1938 im ganzen Reichsgebiet mehrere hundert Jüdinnen und Juden. Mindestens 300 nahmen sich das Leben. Um die 1400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume jüdischer Menschen sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört.
Auch in Strausberg wütete der nationalsozialistische Mob. Der Zeitzeuge Kurt Schornsheim erinnert sich:
„Am Abend des 9. November 1938 begannen rechte Jugendliche unter Führung eines Erziehers aus dem Strausberger Burschenheim mit der Zerstörung jüdischer Geschäfte. Wie die Vandalen hausten sie besonders in den beiden Geschäften der Familie London, im Textilgeschäft Levy sowie in den Verkaufs- und Privaträumen von Zeidler und bei Heynemann. Am 10. November vormittags zerstörten Nazis die Synagoge in der Jungfernstraße. Ein politischer Leiter aus der Nazi-Ortsgruppenleitung stand – durch sein Holzbein am Mitmachen gehindert – grinsend dabei.“
An diesem Tag wurde auch der Jüdische Friedhof in Strausberg massiv beschädigt. Es waren wohl wieder unter anderem die rechten Jugendlichen aus dem Burschenheim, die Grabsteine zerschlugen und teilweise in den See warfen. Eva Nickel, Tochter einer Berliner Jüdin, die in einem Versteck in Strausberg überlebte, weiß aber zu berichten, warum hier heute gar keine jüdischen Grabsteine mehr zu sehen sind. Zu DDR-Zeiten wurde das Gelände eingeebnet. „Schöner unsere Städte“ lautete die Devise. Erst seit 1988 erinnerte eine Gedenktafel an die Novemberpogrome und den jüdischen Friedhof.
Ab dem 10. November 1938 folgten Deportationen von mindesten 30.000 jüdischen Männern in Konzentrationslager wie Sachsenhausen und Buchenwald. Hunderte starben an den Folgen der mörderischen Haftbedingungen oder wurden hingerichtet.
Ab 1941 wurden Juden und Jüdinnen auch ins „Ghetto Theresienstadt“ deportiert. Entgegen der Nazi-Propaganda war dies jedoch kein „Altersruhesitz“ sondern nur Zwischenstation in die Vernichtung. Tausende starben an Hunger und Krankheiten in der völlig überfüllten Festungsstadt. Insgesamt wurden 141.000 Menschen nach Theresienstadt verschleppt, von denen lediglich 23.000 die Shoah überlebten.
Niemals zurückgekehrt ist auch der Strausberger Kaufmann Albert Levy. Levy betrieb in der Großen Straße 73 ein kleines Textilgeschäft. Der „alte Levy“ – er war zur Zeit der Novemberpogrome bereits 78 Jahre alt – und sein Geschäft waren bekannt bei den Strausbergerinnen und Strausbergern. Kurze Zeit nach den Pogromen musste er das Haus, das sich bereits seit der Kaiserzeit im Familienbesitz befand, zwangsweise an Bruno Reimann verkaufen. Der Besitzer der Buch-, Papier- und Musikalienhandlung in der Großen Straße 16 eignete sich das Haus an und ließ im Herbst desselben Jahres alle Gebäude auf dem Grundstück abreißen.
Albert Levy wurde am 17. August 1942 von Berlin ins Ghetto Theresienstadt und am 26. September 1942 vom Ghetto Theresienstadt ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und ermordet. Zum Gedenken wurde in der Großen Straße 73 – dort wo sich bis vor kurzem die Commerzbank befand – ein Stolperstein verlegt.
Eine der wenigen, die Theresienstadt überlebte war die Strausbergerin Martha Ledwoch. Sie war durch ihren arischen Ehemann, einem Gaststättenbetreiber, lange Zeit vor der Deportation geschützt. Am 15. Oktober 1943 wurde sie jedoch nach Theresienstadt deportiert und überlebte. Nach der Befreiung kehrte sie nach Strausberg zurück. Soweit wir wissen als einzige von ehemals 60 Strausberger Juden und Jüdinnen.
Theresienstadt und die Region um Strausberg sind aber auch noch auf andere Weise verbunden. Im Frühjahr 1944 verschleppte die SS 300 jüdische Männer und Frauen in die Wälder zwischen Wulkow und Neuhardenberg. Dort mussten sie ein Ausweichquartier für die Berliner Gestapo-Zentrale errichten. Im Herbst 1944 war ein Teil davon bezugsfertig. Anfang Februar 1945 wurde die Barackenstadt fluchtartig verlassen und die mehrheitlich aus Tschechien stammenden ZwangsarbeiterInnen nach Theresienstadt zurück deportiert. Als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen setzen wir uns für einen Gedenkort in Wulkow ein und arbeiten aktuell an einer Gedenkhomepage.
Im September diesen Jahres organisierten wir eine mehrtägige Gedenkstättenfahrt in die Nordböhmische Festungsstadt Terezin. Wir besichtigten das ehemalige Ghetto Theresienstadt sowie das ehemalige Polizeigefängnis Kleine Festung. Mehrere Wulkower Häftlinge wurden dort ermordet, nachdem sie wegen vermeintlicher Vergehen in den Augen des Wulkower Lagerleiters Franz Stuschka dorthin deportiert worden waren – mit dem Vermerk „RU – Rückkehr unerwünscht“. Außerdem trafen wir Evelina Merova, Überlebende des Ghettos Theresienstadt, von Auschwitz sowie mehrerer Außenlager von Auschwitz. Im Gedenken an das unermessliche Leiden, dass mit Theresienstadt in Verbindung steht, führten wir am Ufer der Eger eine Gedenkveranstaltung durch.
Der 9. November 1938 war ein Bruch. Hatten viele Juden und Jüdinnen vorher noch die Hoffnung, das der Nationalsozialismus nur eine kurze Episode bleiben würde, war nun klar: Es gab keine Zukunft mehr für jüdisches Leben in Deutschland. Wir gedenken an diesem Datum den Opfern der Pogrome und erinnern daran, was sich danach radikalisierte: Ausgrenzung, Raub, Deportation, Massenmord.
Als VVN-BdA setzen wir uns an diesem und allen anderen Tagen ein gegen Vergessen, gegen Verzerren, gegen falsche historische Vergleiche, für ein aktivierendes und zeitgemäßes antifaschistisches Gedenken.
Die AfD hat sich als extrem rechte Partei in den deutschen Parlamenten festgesetzt und kann als getstige Brandstifterin bezeichnet werden, die das Niederbrennen von Geflüchtetenunterkünften heute wieder salonfähig gemacht hat, wie jüngst in Bautzen, Nauen, Strömkendorf…
Antifaschismus ist und bleibt notwendig.