Bericht: 2. Antifaschistisches Wanderseminar. Das Theresienstädter Außenlager Wulkow und jüdisches Leben in Müncheberg.
21. Juni 2022
Der kleine Ort Wulkow ist vermutlich vielen kein Begriff. Er liegt 50 Kilometer von Berlin entfernt zwischen Müncheberg und Seelow. Hier befand sich zwischen März 1944 und Februar 1945 ein Außenlager des Ghettos Theresienstadt. Zum zweiten Mal trafen sich in diesem Jahr ca. 30 Antifaschist:innen zu einem Wanderwochenende, um an die Geschichte dieses Ortes zu erinnern. Das diesjährige Wanderseminar fand vom 17. bis 19. Juni statt und wurde organisiert vom Arbeitskreis Wulkow der VVN-BdA Märkisch-Oderland.
Wie letztes Jahr ging das Seminar mit einem Film los: „Gesucht wird… Franz Stuschka“ (WDR 1985, Regie: Paul Karalus). Der Filmemacher trifft darin ehemalige Wulkower Häftlinge in Berlin und Wien und begibt sich auf die Suche nach dem ehemaligen Lagerkommandanten Franz Stuschka.
Am Samstagmorgen begann die Wanderung von der Bildungsstätte Schloss Trebnitz ausgehend im Nachbarort Hermersdorf an der 1995 eingeweihten Gedenktafel. Hier begann der AK Wulkow mit einem Input zum Lager und zur Gedenktafel, die derzeit allerdings saniert wird und die wir daher nur auf Fotos anschauen konnten. Trotz der sommerlichen „frischen“ 30°C liefen wir anschließend in Richtung des ehemaligen Lagergeländes. Mit ausreichend Pausen und einer angenehmen Laufgeschwindigkeit bot die Wanderung eine angenehme Atmosphäre. In einer größeren Pause thematisierten die Referent:innen Tanja Kinzel und Nils Weigt die Geschichte des Außenlagers anhand von Biographien seiner Opfer.
Diese mussten in Wulkow für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) ein Ausweichquartier aufbauen, was kurz vor Kriegsende tatsächlich noch bezogen wurde. Aufgrund der Bombardierungen von Berlin fühlten sich die Täter nicht mehr sicher. Vor allem wurde für ein besonderen Teil vom RSHA gebaut: Dem sogenannten Eichmann-Referat (Amt IV B 4), die Befehlszentrale des Holocaust.
Gegenüber dem letzten Jahr konnte der Arbeitskreis seinen Wissensstand erweitern und die Lagergeschichte noch detailreicher darstellen. Wir erkundeten den überwucherten Ort, der lediglich erahnen ließ, was sich einst hier abspielte. Besonders bewegend war die Besichtigung der ehemaligen Sandgrube am Ortsrand. Bis zum Sommer 1944 war das Arbeitskommando am Grund der Grube in einer primitiven Baracke untergebracht, während die SS-Bewacher am Rande der Grube patrouillierten. Am Wochenende gesellten sich auch die Wulkower:innen hinzu. Bis heute geistert das Wort „Judenloch“ durch den Ort. Nach weiteren Inputs auf dem ehemaligen Lagergelände und einem Erinnerungsfoto für den letzten Überlebenden Hanuš Hron am Gedenkstein machten wir uns auf, zum letzten Abschnitt der Wanderung. Bei nun „entspannten“ 35°C wanderten wir entlang brandenburgischer Äcker zurück nach Trebnitz. Auch wenn uns Hanuš dieses Jahr leider nicht begleiten konnte, so war er doch immer präsent. In der neu aufgelegten Broschüre vom AK gibt es seine Geschichte zu lesen.
Am Sonntag stand nur eine kleinere Wanderung an. Wir starteten am Schloss Trebnitz und wanderten in Richtung Müncheberg. Dort trafen wir uns mit Mitgliedern des lokalen Heimatgeschichtevereins zu einem Vortrag über jüdisches Leben in Müncheberg. Noch vorher erfuhren wir in einem kleinen Stadtrundgang von der Geschichte des jüdischen Friedhofs sowie der Müncheberger Synagoge, die in der Reichspogromnacht zerstört wurde, und besuchten einen Gedenkort für die deportierten Müncheberger Jüd*innen in der evangelischen Kirche. Angekommen in den Räumen des Heimatgeschichtevereins thematisierte der Referent Frank Geißler die jüdischen Bewohner:innen der Stadt, ihre Lebensbedingungen ab dem Mittelalter und die Auslöschung der jüdischen Gemeinde durch die Nationalsozialisten.
Zurück nach Trebnitz ging es aufgrund der vorherrschenden 37°C mit dem Auto. Hier beendeten wir dieses lehrreiche und ausgiebige Wanderseminar.
An lokale NS-Verbrechensorte zu erinnern, bleibt ein wichtiges Anliegen unseres Kreisverbandes der VVN-BdA Märkisch Oderland. Die Arbeit des Arbeitskreises Wulkow bleibt notwendig, da sich immer wieder neue Quellen finden, die uns das Geschehene besser verstehen lassen. Die Verbindung dieser historischen Recherche mit einer entspannten Wanderung bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich der Geschichte auf eine besondere Art zu nähern. Die Wanderungen dienen der Vernetzung und vertiefenden Gesprächen, während wir bei den Veranstaltungen unseren Horizont erweitern. Durch die Aktivitäten der Antifaschist:innen wird der Ort nicht in Vergessenheit geraten.
Autor: N. Dürr (jugendlicher Teilnehmer des Wanderseminars)
Fotos: S. Signer (VVN-BdA MOL)