Redebeitrag: 9. Mai 2020 in Seelow

17. Mai 2021

Seit 76 Jahren begehen die Völker Europas den Tag der Befreiung vom Faschismus und die Beendigung des 2. Weltkrieges.

In den beiden Teilen Deutschlands erfolgte das bis 1990 auf recht unterschiedliche Weise. In der Bundesrepublik war es lange der Tag des Zusammenbruchs, der bedingungslosen Kapitulation und es bedurfte erst einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, bevor es auch im Westen Deutschlands als das bezeichnet wurde, was es wirklich war – die Befreiung vom Faschismus.

In Ostdeutschland hat es an dieser Tatsache nie einen Zweifel gegeben, obwohl der 8. Mai nur 1975 einmalig als staatlicher Feiertag begangen wurde. Das ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Tag im Bewusstsein der Menschen in der DDR einen hohen Stellenwert hatte, auch wenn uns nach der Wende eigeredet wurde, dass der Antifaschismus hierzulande staatlich verordnet gewesen sei.

Anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus im vergangenen Jahr forderte die Ehrenvorsitzender der VVN-BdA Esther Bejerano, selbst überlebende der KZ Auschwitz und Ravensbrück, in einem sehr emotionalen Brief von der Bundesregierung, endlich diesem Tag einen würdigen Rahmen zu geben.

Sie schrieb: „Ich fordere: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden! Ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann. Das ist überfällig seit sieben Jahrzehnten. Und hilft vielleicht, endlich zu begreifen, dass der 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung war, der Niederschla­gung des NS-Regimes. … Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit. 

Und dann können wir, dann kann ein Bundespräsident vielleicht irgendwann sagen: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Die Deutschen haben die entscheidende Lektion gelernt.“

Doch davon sind wir momentan weit entfernt. Der Bundestagspräsident hat erst unlängst einen Antrag der Fraktion der LINKEN abgelehnt, zu Beginn der planmäßigen Bundestagssitzung am 22. Juni in einer Gedenkstunde des 80. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion zu gedenken. Diese Ablehnung spricht für sich. Eine solche Gedenkstunde wäre doch gerade in der derzeit sehr angespannten außenpolitischen Situation zwischen Deutschland und Russland eine Geste an die Völker der ehemaligen Sowjetunion, die unermessliches Leid durch die Kriegshandlungen und die deutsche Besatzung ertragen mussten. Diese Ablehnung reiht sich nahtlos ein in die vielen Respektlosigkeiten, die deutsche Regierungen in den letzten 30 Jahren den Völkern der ehemaligen Sowjetunion mit ihrer Umdeutung der Geschichte des 2. Weltkrieges und der Verleugnung der Rolle der Sowjetunion und ihrer Roten Armee angeboten haben. Es gipfelte in der Absage der Teilnahme der Bundeskanzlerin an den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Sieges im vergangenen Jahr.

Professor Dr. Moritz Mebel, der im April dieses Jahres verstorbene deutscher Antifaschist, nahm von 1941 bis 1945 als Soldat der Roten Armee an den Kämpfen um die Befreiung der Völker Europas vom Faschismus teil und mahnte am 8. Mai 2020 in einem Brief an Bundesaußenminister Heiko Maas eindringlich: „Ich sage Ihnen als Jude und Deutscher: Nicht nur im Verhältnis unseres Landes zu Israel ist Demut angebracht. Auch und ebenso im Verhältnis zu den Russen und anderen Völkern der früheren Sowjetunion.“

Dem Anliegen würden wir am besten gerecht werden, wenn der 8. Mai, der Tag der Befreiung vom Faschismus, in Deutschland als staatlicher Feiertag begangen würde.

Dann könnten alle demokratisch gesinnten, antifaschistisch denkenden, friedliebenden Menschen der Forderung aus dem Appell der Buchenwaldhäftlingen Nachdruck verleihen: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.“

Deshalb fordern wir: Der 8. Mai muss Feiertag werden!

Das sind wir unserer Geschichte schuldig.

von Wolfram Wetzig /Kreisvorsitzender VVN-BdA MOL