Gedanken zum 75. Jahr Befreiung vom Faschismus
10. Januar 2020
Im Mai 2020 jährt sich zum 75. Mal der Tag der Befreiung vom Faschismus. Wir sollten uns daran erinnern und Position beziehen.
„Ihr werdet die Deutschen immer wieder daran erkennen können, ob sie den 8.Mai als Tag der Niederlage oder der Befreiung bezeichnen“ schrieb einst Heinrich Böll in einem fiktiven Brief „an meine Söhne“. „Es könnte die Zeit kommen, in der es als politisch nicht mehr opportun gilt, den Verbrechen der Vergangenheit jene Namen zu geben, die ihnen gebühren, erst dann werden wir beweisen können, wie viel uns die Freiheit wert ist“.
In der deutschen Politik der sogenannten Mitte muss man gegenwärtig zur der Erkenntnis kommen, dass der Begriff „Befreiung vom Faschismus“ mit aller Macht vermieden werden soll. Das ist nicht neu, denn er passt nicht in das Profil der Herrschenden in dem Land, vom dem das menschenverachtende Naziregime einen beispiellosen Vernichtungsfeldzug in Europa durchführte. Allein 20 Millionen Sowjetbürger wurden Opfer der faschistischen Kriegspolitik, in Belorussland wurden 628 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht, die Blockade von Leningrad kostete eine halbe Millionen Menschenopfer, der Rückzug der verbrannten Erde schlachtete unzählige Kinder, Frauen und Alte regelrecht ab.
Erinnerung darf nicht politisch verwässert oder durch alte Feindbilder überlagert werden. Aber genau das geschieht gegenwärtig gegen den Willen der Menschen in diesem Land, denn 80 % der Deutschen sind für diese Bezeichnung, nur 9 % dagegen. Es gibt wieder eine Kultur der Gewalt, die sich in Rüstungswahn und militärischer Einflussnahme in anderen Ländern zeigt. Wir investieren in die Kriegszukunft, dank einer militaristischen Kriegspolitik. Was wir brauchen ist eine Kultur des Friedens, sie beginnt mit der humanistischen Erziehung in der Familie, qualifizierte Bildung und Erziehung im Kindergarten und Schule, dem Verbot von der Verherrlichung von Gewalt, von faschistischen Gedankengutes bis hin zur kritischen und korrekten Aufarbeitung der Geschichte, besonders auch der eigenen deutschen Geschichte. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ sagte Bertold Brecht – und dir Schoß scheint noch fruchtbarer geworden zu sein, denn fast ohnmächtig sehen wir der Verbreitung und Akzeptierung neofaschistischen Gedankenguts in der Bevölkerung zu. Und immer noch gibt es konservative Politiker und Ideologen, die die Gleichstellung von Rechts – und Linksextremismus propagieren, weil das unverfänglicher erscheint. Genau das ist das Klima, in dem Nazis gedeihen. Eine Reihe schwerer Straftaten sprechen für sich. Legale Begleiterin der Straftaten ist die Geschichtsrevision. Zu wenige Historiker und Politiker stellen sich massiv der Umdeutung der Geschichte entgegen.
Autor: Dieter Schäfer